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Interview mit Prof. Christian Schlüchter
Eiszeitforscher und Moränenspezialist an der Universität Bern


Im Juli-Landtag 2007 hat die Landesregierung das parlamentarische Instrument des Dringlichkeitsantrages übel missbraucht und einen solchen zur sofortigen Aufhebung des gesetzlich festgeschriebenen Moränenschutzes eingebracht, weil die Zerstörung der Gletschervorfelder offenbar so unaufschiebbar dringlich ist, dass sie nicht länger warten kann.
Der Grund für die Gesetzesänderung: Man möchte im Pitztaler Taschach mindestens 43 Hektar schönster Moränenfläche mit einem Pumpspeichersee fluten. Der Grund für die Dringlichkeit: Man wollte vor jeder öffentlichen Diskussion vollendete Tatsachen schaffen.
Die windige Eile war geboten, weil man den Ausführungen auf dieser Seite nach dem Reinfall mit dem Landesgeologen nichts mehr entgegenzusetzen vermochte.

Wer den letzten Glauben an die sogenannte parlamentarische Demokratie aufs Spiel setzen möchte und genügend Masochismus mitbringt, kann ja die Landtagsdebatte vom 5. Juli 2007 in voller Länge hier nachlesen.


Erschreckend ist nicht nur, dass die Abgeordneten von ÖVP, SPÖ und FPÖ die Dringlichkeit des Van-Staa-Antrages, mit dem sie überrollt wurden, sogar noch unterstützt haben und diesem Anlassgesetz allesamt zugestimmt haben. (Sie halten eben immer die Hand auf, senkrecht wie waagrecht.) Nein, viel schlimmer ist, dass da ein ganzer Landtagsaal voller Tiroler Politiker/innen offenbar keine Ahnung mehr hat von Tirol, von den Tälern draußen, von dort, wo die Menschen leben, dass diese Abgeordneten heute über das Land im Gebirge reden wie der Blinde von der Farbe. Sonst könnten sie nicht selbst solchen Stuss von sich geben („... im Taschachtal, wenn du mir da die Moränen zeigst, ...“, „Moränen sind ... zeitlich sehr befristet“, „Moränen ... verschwinden rotierenderweise“) und den noch größeren des Landeshauptmannes und seiner „Naturschutzlandesrätin“ beklatschen. Wollte diese im Jahre 2004 die Moränen noch vor Veränderungen schützen, so verändern sich diese 2007 nach ihrer Aussage von selbst jeden Tag. Ja, so schnell ändern sich politische Opportunitäten und politische Opportunisten. Aber so ist er eben, van Staas Mann fürs Grobe, Anna Hosp. Journalisten gegenüber hat er – ja, wirklich! – sogar gesagt, sie glaube, dass die Moränen unter Wasser besser vor Veränderungen geschützt würden als ohne Stausee. So kann’s gehen, wenn man als Naturschutzlandesrätin die Natur nur aus der Perspektive eines ÖVP-schwarzen Porsche kennt. Sie hätte jedenfalls gut daran getan, unserer persönlichen Einladung zu einer Begehung des Gletschervorfeldes im Taschachtal im Herbst 2006 zu folgen. Dann müsste er nicht mehr so inkompetent daherreden.




Vor lauter wollen sie dort einen TIWAG-Staudamm sehen, sehen sie dort – hier Bild wechseln - keine Moränen mehr.




Interview mit dem Schweizer Eiszeitforscher und Univ.Prof. für Quartärgeologie an der Universität Bern, Dr. Christian Schlüchter:


Frage: Während man 2004 in Tirol noch die Moränen unter strengen Schutz gestellt hat, argumentiert der Landeshauptmann plötzlich, dass „sich Moränenanhäufungen unter Umständen innerhalb eines Jahres radikal verändern“. Das stimmt doch nur im Nahbereich des heutigen, aktiven Eisrandes und ist in Bezug auf die End- und Grundmoränen von 1850, um die es im Taschach geht, ein glatter Unsinn, oder?
Univ.Prof. Schlüchter: Ich würde nicht von einem glatten Unsinn sprechen, eher von fehlender Kenntnis der Gegebenheiten.

Frage: Warum haben Moränen für die Forschung überhaupt eine so große Bedeutung?
Univ.Prof. Schlüchter: Moränen sind geologisch-morphologische Dokumente eines ehemaligen Eisrandes. Das heißt, dass solche Rand- bzw. Endlagen uns über die ehemalige Gletscherausdehnung - also über die Amplitude der Gletscherschwankungen - Auskunft geben. In der heutigen Klimadiskussion ist gerade die Amplitude von Veränderungen der zentrale Bewertungspunkt. Deshalb brauchen wir die Moränen als klimainduzierte, geologische Argumente.

Frage: Der Tiroler Landesgeologe Gunther Heißel behauptet allen Ernstes, so steht es in seinem Gutachten für den Landeshauptmann, dass jede nachträglich „von Stein- und Blockstreu“ teilweise überlagerte Moräne keine Moräne mehr sei. Wie sehen Sie das?
Univ.Prof. Schlüchter: Ich kann das nicht nachvollziehen. Eine Moräne sowohl als Landschaftsform als auch als Sedimentschicht bleibt eine Moräne auch bei einer ganzen oder teilweisen Überschüttung. Vielleicht ist sie unter Umständen nicht mehr vollständig sichtbar. Das kommt auf den Grad der Überschüttung an.

Frage: Die Tiroler Naturschutzlandesrätin Hosp, die in der Materie besonders firm sein sollte, sagt dazu, die Moränen im Taschachtal seien „morphologisch unscheinbar und sehr niedrig, und zwar alle“, das liege daran, so Hosp, „dass dieses Tal sehr viele Seitenbäche hat und diese Seitenbäche haben diese Moränen morphologisch unscheinbar werden lassen“. Der Tiroler Gletscherkundler Gernot Patzelt dagegen behauptet, dass es kaum wo in Tirol ein derart gut erhaltenes Ensemble von Moränen der „kleinen Eiszeit“ gibt wie im Taschachtal. Täuscht sich Prof. Patzelt hier?
Univ.Prof. Schlüchter: Das ist eine sehr schwierige Frage. Ich kenne das Tschachtal nicht aus eigenen Begehungen. Ich habe nur Bilder zur Verfügung. Und da ist sehr wohl eine wunderschöne Moränen- und Schutthaldenlandschaft sichtbar, die wohl über eine Detailkartierung dokumentiert werden müsste.

Frage: Man hat fast den Eindruck, unsere Politiker sprechen von Wanderdünen und nicht von den Gletschermoränen der letzten 500 Jahre, der sogenannten „Kleinen Eiszeit“. Prof. Gernot Patzelt hat 43 Hektar Moränenfläche im geplanten Stauraum im Taschachtal festgestellt, die nach Meinung der Politiker aber nicht kartierbar sein sollen, weil sie sich täglich verändern. Ist das so?
Univ.Prof. Schlüchter: Jede geologische Oberfläche unterliegt konstanten Modifikationen. Diese Modifikationen sind allerdings unter Umständen so bescheiden, dass sie kaum messbar sind. Aber sie sind nicht null. Viele Moränen der letzten 500 Jahre sind durch Steinschlag oder Schutthalten mit Material über- oder angeschüttet worden - aber sie sind immer noch einwandfrei als Moränenwälle kartierbar.





Universitätsprofessor Christian Schlüchter ist Inhaber des Lehrstuhls für Umwelt- und Quartärgeologie am Institut für Geologie der Universität Bern. Er befasst sich insbesondere mit der Geologie von Gletschern und gilt als herausragender Moränenspezialist. Er ist auch Lehrbeauftragter der ETH Zürich.

11.1.2008

Fortsetzung: Van Staa hat keine Ahnung



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