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„Mafiaähnliche Geheimwirtschaft“
Interview mit dem „Cross-Border-Leasing“-Experten Werner Rügemer


Wir begehen gerade „1 Jahr Verwicklung der TIWAG in den Cross-Border-Leasing-Prozess“. Um das zu erwartende, für sie ungünstige Urteil möglichst hinauszuschieben, verzögert die TIWAG im Moment mit allen Mitteln den Fortgang des Verfahrens. Sie hat zu diesem Zwecke Dominik Thumfart, einen Angestellten der Citibank in London als Zeugen benannt, dessen Einvernahme auf Wunsch der TIWAG auch in England vor sich gehen soll. Daß dabei enorme zusätzliche Verfahrenskosten für die TIWAG anfallen wie Ausgaben für Übersetzungen ins Englische und aus dem Englischen, wie Flug- und Aufenthaltsspesen für zwei Anwälte, ist ihr völlig egal. Allein diese Einvernahme dürfte das Verfahren um weitere 30.000 Euro verteuern, da zum Beispiel auch für die Rechtsanwaltshonorare natürlich der von der TIWAG festgesetzte Streitwert von 500.000 Euro herangezogen wird.
Dabei ist bereits jetzt klar, daß Herr Thumfart nichts sagen wird, was nicht schon längst bekannt ist, da er sich erstens strikt an das Bankgeheimnis und zweitens an seine Verschwiegenheitspflicht im Rahmen der Cross-Border-Verträge halten wird. Die TIWAG-Kunden werden auch diese Horrorsumme brav bezahlen, die umso skandalöser ist, als Herr Thumfart laut Auskunft der Citibank-Niederlassung in Wien, regelmäßig in Österreich ist und mit Leichtigkeit ein Termin im Inland, sogar ein früherer als in London, mit ihm zu vereinbaren gewesen wäre. Dominik Thumfart besitzt, nebenbei gesagt, auch eine Wohnung in der Wiener Josefstadt und hält sich gar nicht selten dort auf.
Aber was soll man von einer TIWAG verlangen, die sich für teures Geld eine Anwaltskanzlei Knoflach-Söllner-Kroker hält, die in ihrem Schriftsatz nicht nur dauernd Kläger und Beklagten verwechselt, sondern sogar ihren ach so wichtigen Londoner Zeugen Thumfart beharrlich als Thumfahrt bezeichnet?

Nun, je länger sich das ganze durch diese Prozessverschleppung hinzieht, desto mehr verschärft sich die Situation für die TIWAG. Werner Rügemer, Autor des Buches „Cross Border Leasing“ spricht im nachfolgenden Interview über einige Aspekte der jüngsten Entwicklungen.

Sie haben einmal gesagt, daß es europaweit keine so detaillierte Darstellung eines konkreten Cross-Border-Geschäfts gibt wie jene des Sellrain-Silz-Deals der TIWAG auf dieser Homepage. Warum ist das so?
Rügemer: Die Geheimhaltung bei Cross Border Leasing, wie auch bei anderen Steuerumgehungen, die in den USA seit 2004 verboten sind und teilweise strafrechtlich aufgearbeitet werden, ist extrem, jedenfalls für europäische Verhältnisse. Und diese Geheimhaltung ist „strafbewehrt“, das heißt, ein Vertragspartner muss also erhebliche Strafen zahlen, wenn er Vertragsteile öffentlich macht. Deshalb wurde bisher so wenig bekannt.

Ex-TIWAG-Vorstand Hermann Meysel, der seit 2004 als Controller der CBL-Geschäfte für die TIWAG arbeitet und pausenlos zwischen Innsbruck, Wien und den USA unterwegs ist und übrigens wieder ein Büro in der Chefetage der TIWAG bezogen hat, hat gesagt, in fast allen Ländern Europas habe man CBL gemacht, Probleme in der Öffentlichkeit gebe es eigentlich nur in den deutschsprachigen Ländern, aber so schlimm wie in Tirol sei es sonst nirgends.
Rügemer: Die von den Tätern gerne wiederholte Behauptung, solche Geschäfte seien „in fast allen Ländern Europas“ gemacht worden, ist falsch. In allen skandinavischen Ländern, in England, in Luxemburg, in allen osteuropäischen Ländern, in Spanien und Italien sind keine solchen Geschäfte gemacht worden. Nur sehr wenige wurden in Frankreich, Belgien und den Niederlanden gemacht, dort aber nur mit großen Staatsbetrieben, nie mit Städten. Deutschland und Österreich sind die „Musterknaben“.

Wie man weiß, hat allein die Ankündigung der Veröffentlichung von Vertragsdetails auf dieser Homepage die Herren ziemlich nervös gemacht. Warum denn, wenn alles so legal ist?
Rügemer: Der Widerspruch zwischen Geheimhaltung und Legalität besteht grundsätzlich. Wenn auch nur ein winziges Detail bekannt wird, setzt bei den Tätern die hektische Suche nach der „undichten Stelle“ ein. Da könnte ja dann auch noch mehr in die Öffentlichkeit dringen. Es ist eben nicht alles so legal, wie behauptet wird. Das ist nach dem Stopp 2004 noch deutlicher.

Lustig war, dass schon eine Stunde nach dem Online-Stellen der Citibank-Geschichte („Verbrechen durch die Bank“) die Citibank auf der Homepage war, internationale Rechtsanwaltsbüros (law-firms) folgten dann bald. Ist unsere Arbeit für diese Vertragsbeteiligten wirklich so bedrohlich?
Rügemer: Gegenüber dieser mafiaähnlichen Geheimwirtschaft ist jede Veröffentlichung von Praktiken bedrohlich.



Auch einen Teil des Verteilernetzes hat die TIWAG im September 2003 unter Landeshauptmann van Staa und Aufsichtsrats-Vorsitzendem Eberle an zwei US-Trusts, hinter denen die zwei Großbanken Citibank und CIBC stehen, „verklopft“.
Die eingetragenen „Fruchtgenussrechte“ der Trusts sind dabei bis zum 31. Dezember 2099 an zwei weitere Banken verpfändet.
Im Bild der laut CBL-Vertrag anzubringende Hinweis auf die schwere hypothekarische Belastung des TIWAG-Stromnetzes.



Ich habe einen Hinweis aus einer sehr guten Quelle erhalten, dass die Unterzeichner bzw. Beteiligten von CBL-Verträgen in den USA inzwischen als Mitglieder eines Komplotts (verschleiernde komplexe Verträge zur Steuerschonung) eingestuft werden. Was sagen Sie dazu?
Rügemer: Z.B. wurde in den USA gegen die Wirtschaftsprüfer KPMG und gegen die Deutsche Bank, Citigroup und andere im Zusammenhang solcher Steuerumgehungen aus der Zeit der „new economy“ wegen verschwörerischem Vorgehen ermittelt. Es ging dabei u. a. um Umgehungskonstrukte wie FLIPS und OPIS, die viele Ähnlichkeiten mit Cross Border Leasing aufweisen – Scheingeschäfte, um Steuern zu sparen. KPMG z.B. hat in einem Vergleich mit einer Zahlung von über 300 Millionen US-Dollar verhindern können, dass es zu einer öffentlichen Verhandlung kommt. Ähnlich haben sich Deutsche Bank und Citigroup freigekauft.

Der Vorstandsvorsitzende der TIWAG, Bruno Wallnöfer, hat vor einem Jahr noch unsere Kritik an den Cross-Border-Deals als „Unsinn“ bezeichnet (TT, 5.3.2005). Anfang dieses Jahres hat er öffentlich eingeräumt: „Es ist nicht alles so glatt gelaufen, wie es damals bei Vertragsabschluss schien.“ (Kurier, 3.1.2006). Ist es wirklich enger geworden für die TIWAG in der Zwischenzeit?
Rügemer: Nach dem Stopp von Cross Border Leasing 2004 durch den US-Kongress ist die Abwicklung der vorher geschlossenen Verträge sehr problematisch geworden, viel problematischer als es ohnehin geworden wäre. Denn die US-Steuerbehörden überprüfen jeden Vertrag jetzt genau, und zwar unter dem Aspekt „Scheingeschäft“. Die US-Investoren müssen noch stärker als vorher nachweisen, dass es sich um ein „wirkliches“ Geschäft handelt. Der Zugriff auf das Leasinggut wird also schärfer, konkreter.

Vor kurzem ist ja im Zusammenhang mit dem anhängigen Cross-Border-Leasing-Prozess der TIWAG einer der Verantwortlichen der Kommunalkredit Bank AG einvernommen worden. Sie kennen das Protokoll der Zeugenaussage dieses Bankers Wolfgang Viehauser. Was ist für Sie das Bemerkenswerte daran?
Rügemer: Herr Viehauser hat sich ja bemüht, möglichst wenig zu sagen. ‚Bestimmte Situation’ ist sein wiederkehrender, nichtssagender Ausdruck. Er hat auch absolut kein Gespür für moralische und Rechtsfragen. Das ist für diese global tätige Branche und für CBL im besonderen typisch: man will Geschäfte machen um jeden Preis, auch um jeden Rechtsbruch, der ohne Imageschaden durchkommt.

Und inhaltlich?
Rügemer: Viehauser bestätigt jedenfalls, dass die CBL-Geschäfte einer extremen, an US-Standards ausgerichteten Geheimhaltung unterliegen. Die beteiligten Banken unterhalten ein dichtes, gleichzeitig von Konkurrenz blockiertes Meldesystem, das schon die geringsten Veröffentlichungen einbezieht, beispielsweise so scheinbar banale und im bürgerlichen Rechtsverkehr eigentlich elementare Tatsachen wie den Gerichtsstandort.

Viehauser spricht von "großer Berunruhigung bei den Bankpartnern" und hektischen Telefonaten bereits aufgrund meiner Ankündigung, die Bevölkerung über die CBL-Deals der TIWAG zu informieren.
Rügemer: Die Angst der Banken und sonstigen Akteure vor solchen Veröffentlichungen ist extrem, im Falle CBL nicht nur bedingt durch "Geschäftsgeheimnis", sondern wohl auch durch die "Illegalität". Viehauser bestätigt auch, dass alle "kritischen" Veröffentlichungen etwa durch www.dietiwag.at und durch mein Buch "Cross Border Leasing" den Akteuren bekannt waren, nervös durchforstet wurden und absolut korrekt sind.

Und daß er ziemlich freimütig erklärt, daß seine Bank ihre CBL-Verträge mittlerweile „bei einer Tochter in der Tschechischen Republik“, deponiert hat, einer Tochterbank der Kommunalkredit offensichtlich. Haben Sie das schon einmal gehört? Nicht in Österreich und doch in zwei Autostunden greifbar, sozusagen.
Rügemer: Die Verbringung der Vertragstexte in die Tschechei verstehe ich nicht. Das zeigt aber, zu welchen lächerlichen, ja infantilen Versteckspielen hier gegriffen werden muss.

Die TIWAG ist mittlerweile auch Hälfte-Eigentümerin der Innsbrucker Kommunalbetriebe AG, die ihrerseits in insgesamt drei Transaktionen das Kanalsystem und die städtische Kläranlage, das Stromnetz und einen Teil ihrer Wasserkraftwerke „verleast“ hat. Damit ist die kleine TIWAG in insgesamt acht Cross-Border-Deals verstrickt. Ist das zu schaffen, diese acht Verträge „zu bewirtschaften“, wie TIWAG-Chef das aufwendige Controlling nennt?
Rügemer: Die „Bewirtschaftung“ von acht Verträgen ist, vor allem unter den neuen Bedingungen, sehr personal-, beratungs- und kostenintensiv. Da dürfte in einigen Jahren ein beträchtlicher Teil des „Barwertvorteils“ ohnehin aufgezehrt werden. In Deutschland haben beispielsweise 25 der 26 Städte, die Verträge abgeschlossen haben, eine „CBL-Notgemeinschaft“ im Deutschen Städtetag gegründet, jeder zahlt jährlich eine Summe zwischen 25.000 und 100.000 Euro ein; daneben entstehen für jede einzelne Stadt weitere Personal- und Beratungskosten.

Ich weiß nicht, ob Sie wissen, daß die Innsbrucker Kläranlage seinerzeit von Bürgermeister van Staa und IKB-Chef Wallnöfer auf sage und schreibe 250 Jahre verleast worden ist. Kennen Sie Vergleichbares irgendwo in Europa?
Rügemer: Eine Laufzeit von 250 Jahren ist einzigartig. Das habe ich sonst noch nie gehört. Die maximale Laufzeit ist in allen mir bekannten Fällen 100 Jahre.

In Deutschland versuchen ja jetzt mehrere Städte, wie zum Beispiel – ganz aktuell – Leipzig, aus den Cross-Border-Verträgen auszusteigen. Warum tun sie das und wie stehen die Chancen dabei?
Rügemer: Die Städte wollen möglichst aussteigen, weil sie Angst haben und sich die negativen Dauerfolgen der Verträge allmählich zeigen. Allerdings ist der Ausstieg aus den Verträgen praktisch unmöglich. Die Investoren würden ja eingestehen, dass die Klärwerke, Kraftwerke usw. auch ohne sie genauso weiterbetrieben werden, dass es sich also doch um ein Scheingeschäft handelt. Obwohl die Stadtwerke-Chefs von Leipzig schon x-mal in großer Besetzung nach Chicago geflogen sind, sind sie noch aus keinem Vertrag herausgekommen.

Wie weit können eingegangene Cross-Border-Verträge zum Beispiel die weitere Stadtentwicklung behindern?
Rügemer: Da gibt es ein nettes Beispiel: Die Stadt Stuttgart hatte geplant, für eine Umgehungsstraße eine neue Brücke über den Neckar zu bauen. Der Investor John Hancock Life Insurance hat das aber verboten, weil einige Meter der Brücke über das Gelände des Klärwerks verlaufen wären, das Hancock gekauft hat. Jetzt muss Stuttgart die Planung ändern und mit Millionenaufwand die Brücke an anderer Stelle bauen, Straßen verlegen u.ä.

Die TIWAG plant einen gigantischen Ausbau der Kraftwerksgruppe Sellrain-Silz, die bis 31.12. 2095 an vier Finanztrusts in den USA verleast ist. Ist so ein Radikalumbau einer verleasten Anlage überhaupt möglich und wenn ja, welche Schwierigkeiten sind damit verbunden?
Rügemer: Ein solcher Radikalumbau ist laut Vertrag eigentlich nicht möglich. Er wäre aber möglich, wenn der Investor zustimmt und sich selbst engagiert. Das würde aber bedeuten, dass aus einem Scheingeschäft ein wirkliches Geschäft wird, der Investor die Kraftwerke tatsächlich als Eigentümer betreibt. Das ist dann aber eine ganz neue Lage.

Das angesprochene gerichtliche Protokoll von der Einvernahme des Vertreters der Kommunalkredit Austria AG findet sich unter: Protokoll einer Zeugenvernehmung

6.4.2006


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